Als Reaktion auf meine letzte Kolumne, in der ich erzählte, wie nervös ich vor meiner ersten Lesung war, bekam ich eine Nachricht: „Du kannst in dein Inneres vertrauen und dass du etwas zu sagen und teilen hast, das sehr schön ist!“ Mit diesen Worten im Hinterkopf nahm ich am Freitagabend das Mikro in die Hand - auch wenn ich mich gefühlt ewig vorm Publikum panisch im Kreis drehte, weil ich es zuerst nicht finden konnte -, atmete tief durch und sagte zu mir selbst: Los geht’s. Jetzt kannst du nicht mehr davonlaufen.
Vergangene Woche machte ich, wie ihr ja bereits gelesen habt, viele emotionale Phasen durch. Nachdem ich mich am Mittwoch mit ein paar anderen Teilnehmerinnen zur Vorbereitung getroffen hatte, ging ich trotz des wirklich netten Treffens noch nervöser nach Hause. Ich fand ihre Texte so wahnsinnig schön geschrieben, so tiefgründig und poetisch, als wären sie die Verschriftlichung eines Mozart- oder Vivaldi-Stückes, während ich meine im Vergleich dazu eher unter der Kategorie Werbejingles einordnete. Nicht einmal die Süße des leckeren, saftigen Zitronenkuchens, den uns die liebe Gastgeberin serviert hatte, konnte die Bitterkeit, die sich in mir in der U-Bahn ausbreitete, ausgleichen. Als ich später aber erfuhr, dass es den anderen in der Gruppe genauso erging wie mir, wurde mir wieder einmal klar: Wir sitzen alle im selben Boot. Kreativität ist subjektiv und schwer greifbar, weshalb viele Aspekte davon intuitiv sind und nicht auf eine Formel oder einen Algorithmus reduzierbar. Im Grunde geht es uns allen darum, den Leser:innen nahe zu sein und die Bestätigung zu erhalten: „So geht es mir auch. Ich komme auch hin und wieder nicht mit den Anforderungen des Lebens klar. Du bist nicht allein.“ Millennials halt. Jeder von uns hat seine eigene Geschichte zu erzählen, und keine davon ist besser als die andere. Es mag sein, dass die Texte meiner Kolleg:innen poetisch(er) sind und meine (bisher) eher prosaisch, jedoch können beide Stile nebeneinander existieren, ohne miteinander in Konkurrenz zu stehen. „Und das ist doch das, was deine Texte so ausmacht,“ sagte eine Freundin aufmunternd. „Das Storytelling.“
Ganz in diesem Sinne erzähle ich euch eine Geschichte, in Form von einer Liste. Einer Dankbarkeitsliste, um genau zu sein, die natürlich nicht vollständig ist, aber ein paar wichtige Punkte beinhaltet. Denn heute ist, ganz nebenbei gesagt, mein 33. Geburtstag (genau genommen war er gestern, am 20.05., da es schon längst nach Mitternacht ist), und ich wäre ja nicht ich, wenn ich mir an diesem Tag nicht zwei Stunden Zeit nehmen würde, das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen. Mein Geburtstag ist für mich ein Anlass zum Reflektieren. An diesem Tag bin ich meist recht nachdenklich gestimmt, ein Hauch von Nostalgie liegt in der Luft. Am liebsten würde ich mich innerlich wie ein Krebs in seine Schale zurückziehen. Das mache ich heute allerdings nicht, sondern feiere stattdessen den Erfolg der Lesung, die (nach meiner persönlichen Erfolgsdefinition) gut gelaufen ist. Das tue ich, indem ich die Liste mit etwas beginne, das mich wie Sauerstoff täglich am Leben erhält:
Das Schreiben.
Es hilft mir dabei, das Leben, mich selbst und die Welt um mich herum zu verstehen. Da es jedoch eine isolierte Tätigkeit ist, habe ich mich lange nach einer Schreibcommunity gesehnt, in der wir uns gegenseitig austauschen, unsere Texte miteinander teilen und uns konstruktives Feedback geben können. Als ich nun am Schreibtisch sitze und allein über das letzte halbe Jahr nachdenke, stelle ich fest, dass ich seit Oktober bereits an drei Schreibkursen teilgenommen habe. Mittlerweile bin ich in vier WhatsApp-Gruppen (mehr oder weniger) aktiv. Viele von uns leben in Berlin, andere sind in ganz Europa verstreut. Es sind großteils Menschen, die die Feinfühligkeit dieser Kunst verstehen und wissen, wie verletzlich es ist, sein Inneres nach außen zu tragen. Sie begreifen die Unsicherheiten, die damit einhergehen, aber auch den Wunsch, sich durch Worte mit anderen Menschen zu verbinden.
Menschen um mich herum.
Schon in meinen Zwanzigern habe ich gelernt, dass es nicht auf die Quantität, sondern auf die Zwischenmenschlichkeit und das gegenseitige Verständnis ankommt. Je älter ich werde, desto kleiner wird mein innerer Kreis, dafür aber immer inniger und fester. Es gibt kein Drama mehr, und wenn doch Probleme aufkommen, gehe ich immer davon aus, dass sie (angst)frei und respektvoll kommuniziert werden (können).
Intuition
Ich bin ein sehr bodenständiger Mensch, aber heute kann keine Vernunft der Welt mit meinem Bauchgefühl konkurrieren. Wie wir alle habe auch ich schon die eine oder andere Fehlentscheidung in meinem Leben getroffen, sei es, einen Job anzunehmen, um das zu tun, was damals „richtig“ erschien, oder den Kontakt mit einem Menschen aufrechtzuerhalten, obwohl von der Beziehung nichts mehr als ein Tröpfchen übrig war. Heute versuche ich mich im Zweifelsfall daran zu erinnern, dass sich Urvertrauen und Geduld immer auszahlen werden und mich schließlich auf den richtigen Weg führen.
Blumen
Heute habe ich diese wunderschönen Blumen zu meinem Geburtstag erhalten, aber auch sonst lege ich ab und zu einen günstigen Tulpenstrauß in meinen Einkaufskorb bei REWE. Manchmal ist auch einfach Farbe die Lösung.
Dass ich älter werden darf
Wenn ich sage, dass mich das Älterwerden gar nicht beschäftigt, würde ich lügen. Jedes Jahr stelle ich mit Erschrecken fest, wie schnell die Zeit verpufft, Weihnachten gefühlt alle sechs Monate wieder vor der Tür steht, und erst heute bemerkte ich, wie lang meine Haare wieder sind, obwohl ich sie doch erst vor Kurzem geschnitten habe – oh, Moment, der Friseurtermin war im August! Ich bin nicht schnell genug, hinke nur so jedem Moment hinterher, bin aber trotzdem für jede (Lach)Falte dankbar, die sich wie eine persönliche Anekdote auf meinem Gesicht verewigt hat. Dem Jugendwahn, der auf Social Media wie ein dauerhungerndes Tier genährt wird, möchte ich keinen weiteren Knochen hinwerfen, indem ich mir über mein natürlich alterndes Gesicht oder den verlangsamten Stoffwechsel Gedanken mache. Es gibt keine „Prime Time“, nur eine „Now Time“.
Für meinen kleinen und gemütlichen Balkon. Eine Tasse morgendlichen Kaffees hat noch nie besser geschmeckt als auf meinem Polyrattan-Hocker, bestenfalls mit Sonnenstrahlen im Gesicht. Einen Außenbereich zu haben, egal wie groß, ist eine komplett neue Lebensqualität.
Meine Neugier und unersättliche Abenteuerlust.
Freundlichkeitsgesten von Fremdpersonen, sei es ein Lächeln, Tür aufhalten, Kompliment machen, verlorene Gegenstände zurückgeben. Nichts kann einen trübseligen Tag schneller aufmuntern als eine unerwartete, liebevolle Geste.
Den Moment, in dem ich realisiere, dass ich mich in Anwesenheit einer anderen Person so wohl fühle, dass die Stille und Pausen im Gespräch kein unangenehmes Gefühl mehr in mir auslösen.
Dass ich es cool finde, unterschiedliche Socken zu tragen.
Mich beim Yogaunterricht traue, laut und stimmhaft auszuatmen.
Die besondere Freude, etwas Neues zu beginnen, oder etwas in einer alten Jacke wiederzufinden, nach dem ich lange gesucht habe.
Die Erkenntnis, dass ich auf dem richtigen Weg bin, egal an welcher Station ich mich gerade befinde.
Nein sagen zu können, ohne mich schlecht zu fühlen.
Wenn Tiere sich zu mir hingezogen fühlen.
Wenn die sterbende Pflanze plötzlich wieder aufblüht, weil ich im letzten Moment doch etwas richtig gemacht habe.
Den Geruch der Luft nach einem Sommerregen im Park.
Ausgeschlafen in den Tag zu starten.
Wenn die Sache, vor der ich ewig Angst hatte, eines Tages zur Selbstverständlichkeit wird.
Wenn der Körper nach monatelangem Training Schritt für Schritt stärker wird und Übungen bewältigt, die zuvor zu schwierig waren.
Für jeden Tramchauffeur, der wartet.
Wenn die Mittagssonne mir ins Gesicht brennt und ich doch meine Sonnenbrille eingepackt habe.
Wasser aus dem Wasserhahn trinken zu können.
Nach einem langen Tag in die Jogginghose zu schlüpfen.
Das Meer gerochen zu haben.
Matcha. Matcha-Eis, Matcha Latte, Matcha Mochi, Matcha alles.
Die Möglichkeit, die vier Jahreszeiten erlebt zu haben. Wer weiß, wie lange wir dieses Privileg noch haben werden.
Aufrichtige Entschuldigungen.
Die Offenheit und Flexibilität zu besitzen, meine Meinung über etwas ändern zu können.
Das Gefühl, mich nach der Dusche ins frisch bezogene Bett zu legen.
In einer Stadt zu leben, in der ich mich viel zu Fuß bewegen kann.
Für die Chance, mich erinnern zu können.
Die Schattierungen des Lichts, die sich im Laufe des Jahres verändern.
Und noch viele, viele Punkte mehr. Diese Liste ist nicht vollständig, wird es auch nie sein, sondern ständig weiterwachsen. Das ist das Wunderbare daran: Die Schönheit des Lebens gleicht einem bodenlosen Fass, das sich immer weiter ausdehnt und stets neue Entdeckungen und Wunder bietet. Mit meiner heutigen Geburtstagskolumne habe ich versucht, auf mein Inneres zu hören und ein Stück davon mit euch zu teilen. Ich hoffe, ihr fühlt euch inspiriert.
Eure Niki.
Danke für diese Liste! Ich werde auch bald 33 und du hast mich inspiriert, meine eigene zu schreiben ☺️